Corona Clusteranalyse

WIBCE »WAS ICH BEI CORONA ERLEBE«

Herausforderung

Die COVID-19-Pandemie beeinflusst nicht nur den Gesundheits- und Wirtschaftssektor sehr, sondern es sind auch starke Auswirkungen im Zusammenleben und privaten Alltag zu beobachten. Die Untersuchung dieser Auswirkungen ist besonders relevant, da soziale und psychologische Ressourcen und eine intakte psychische Gesundheit wichtige Faktoren darstellen, die das Immunsystem stärken und Krankheiten vorbeugen kann. Dabei ist davon auszugehen, dass bestimmte Personengruppen stärker betroffen sind. 

Methodik

In einer Forschungskooperation zwischen dem Fraunhofer Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation, dem Universitätsklinikum Dresden und dem IT-Unternehmen seracom GmbH haben wir querschnittlich (d.h. viele Personen wurden zu einem Zeitpunkt befragt) und längsschnittlich (d.h. Personen wurden zu mehreren Zeitpunkten befragt) die Auswirkungen der COVID-19 Pandemie mittels eines Online-Fragebogens namens WIBCE »Was ich bei Corona erlebe« untersucht. Die Umfrage umfasste:

  1. epidemiologische und gesundheitsbezogene Fragen ((1a) allgemein sowie (1b) COVID-19 spezifisch, wie z.B. die Zugehörigkeit zu einer Risikogruppe), 
  2. Fragen zu sozialen Faktoren (z.B., Anzahl und Form der Kontakte zu anderen Personen), 
  3. Fragen zum alltäglichen Leben und Verhalten (z.B., Arbeitssituation und Betreuungsformen bei Kindern),
  4. etablierte Verfahren zur Untersuchung psychologischer Faktoren (Patienten-Gesundheitsfragebogen-4 (PHQ-4) und der Lebensqualität (European Quality of Life Index (EQ-5D-5L) 
  5. spezielle Fragemodule für Risikopatienten und Risikopatientinnen mit Vorerkrankungen (z.B., Krebs- oder Lungenerkrankungen)

Ziel des Projektes war es, die gesellschaftlichen und psychologischen Auswirkungen der COVID-19 Pandemie in einem Data Mining Ansatz mit Methoden des Maschinellen Lernens und der Inferenzstatistik zu untersuchen. Dabei waren wir besonders daran interessiert:

  1. Personengruppen mittels auf den Methoden des Maschinellem Lernens basierende Clusteranalysen zu identifizieren, die während und vielleicht auch aufgrund der Krise in ihren psychologischen Schutzfaktoren gefährdet sind und eine besondere psychische Belastung berichten.
  2. Die Schlüsselfaktoren, die diese Personengruppen beschreiben und vorhersagen, ob eine Person in der mentalen Gesundheit geschwächt ist, identifizieren.

Ergebnisse

Es wurden Daten von 275 Erwachsene mit insgesamt 1430 Teilnahmen aus dem Zeitraum April bis August 2020 analysiert. Diese längsschnittlichen Daten wurden deskriptiv analysiert. Zusätzlich wurde eine auf unüberwachtem Maschinellem Lernen basierende Methode zum Finden versteckter Muster und Regelmäßigkeiten erprobt, welche sich für Datensätze mit gemischten Datentypen eignet. Mit Hilfe eines Cluster-Algorithmus namens K-Medoid und dem Ähnlichkeitsmaß der so genannten Gower Distanz konnten Fragen mit einer geringen Zahl an möglichen Antworten (z.B., das Geschlecht) mit Fragen mit kontinuierlichen Antwortskalen (z.B., bei einem prozentual-interpretierbaren Schiebebalken zum Heutigen Wohlbefinden) für eine Clusteranalyse kombiniert werden. Es konnten zwei bis drei Cluster, welche sich in ihren psychologischen Schutz- und Belastungsfaktoren (z.B. Anzahl der Risikofaktoren und Einschätzung der psychischen Gesundheit) aber auch demografischen Daten (z.B. Alter und Einkommen) unterschieden, identifiziert werden. Mit überwachte ML-Modellen konnte die Clusterzugehörigkeit der Teilnehmer und Teilnehmerinnen anhand der gegebenen Antworten mit einer hohen Genauigkeit vorhergesagt werden. Um Schlüsselfaktoren zu identifizieren, die vorhersagen, ob eine Person in der mentalen Gesundheit und den vorhandenen psychologischen Ressourcen geschwächt ist, wurden multiple Regressionsmodelle eingesetzt. Somit konnten Personen in der Stichprobe identifiziert, die aufgrund von psychischer Belastung, Angsterleben (u.a., bzgl. einer SARS-CoV-2 Infektion) und Sorgen sowie fehlenden protektiven Ressourcen besonders gefährdet sind. Im Mittel unterschied sich das Cluster mit besorgten Personen signifikant von Referenzwerten gesunder Personen vor dem Ausbruch der COVID-19 Pandemie. Es waren insbesondere Teilnehmer und Teilnehmerinnen mit 

a) jüngerem Alter

b) größeren Sorgen (auch vor einer Ansteckung mit dem SARS-CoV-2 Virus)

c) geringen finanziellen Ressourcen

d) mit einem höheren Risiko für einen schweren Krankheitsverlauf

Die Ergebnisse ermöglichen eine frühzeitige Erkennung von Personen, die geschwächte Schutzfaktoren und maladaptive Verhaltensweisen aufweisen. 
Diese Erkenntnisse erlauben Bedarfe für Maßnahmen zu identifizieren und präventive sowie direkte Interventionen, z.B., in Form von individuell zugeschnittenen Handlungsempfehlungen zur Verfügung zu stellen.

Leistungsangebote

Die entwickelten ML-Ansätze erlauben aus großen und unübersichtlichen Datenstrukturen neue Erkenntnisse zu extrahieren. Noch bedarf es Expertenwissen und eine sorgfältige Aufbereitung der Daten und Auswahl sowie Einstellung der Algorithmen und ihrer Parameter, um solche KI-Lösungen anzuwenden. Wenn Sie als Unternehmen ebenfalls große Datenstrukturen auf innere Zusammenhänge analysieren und entsprechende Maßnahmen ableiten wollen, freuen wir uns auf Ihre Kontaktaufnahme.

Projektinformation

Kooperation des Fraunhofer IAO mit dem Uniklinikum Dresden und seracom GmbH

Der Anteil des Fraunhofer IAO am WIBCE-Projekt wurde von der Fraunhofer-Gesellschaft für angewandte Forschung in einem Eigenforschungsprojekt namens »Anti-Corona Programme« (Nr. 036-600013) selbstständig finanziert. 

Publikationen des Projektes WIBCE

[1] Janssen, D., Lingelbach, K., Piechnik, D., Gado, S., Maurer, P., Eichler, M., Knopf, D., Hentschel, L., Schuler, M., Sernatinger, D., Peissner, M. (2021, in press). WIBCE – a web application helping people to reflect their infection risk and psychological well-being and act accordingly during the COVID-19 pandemic. Proceedings of the 12th International Conference on Applied Human Factors and Ergonomics and the Affiliated Conferences, New York, USA.

[2] Lingelbach, K., Gado, S., Janssen, D., Piechnik, D., Eichler, M., Hentschel, L., et al. (2021, in press). Identifying the effects of COVID-19 on psychological well-being through unsupervised clustering for mixed data. Advances in Intelligent Systems and Computing 1126.

[3] Lingelbach, K., Piechnik, D., Gado, S., Janssen, D., Eichler, M., Hentschel, L., et al. (2021, under review). Effects of the COVID-19 Pandemic on Psychological Well-being and Mental Health. Frontiers in Public Health.

[4] Lingelbach, K., Janssen, D., Maurer, P., Gado, S., Piechnik, D., Eichler, M., Hentschel, L., Schuler, M., Sernatinger, D., Knopf, D. (2021, in press). Whitepaper: Gesellschaftliche und psychologische Auswirkungen der Covid-19 Pandemie in Deutschland. Ergebnisse einer Online-Befragung. Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO, Stuttgart.